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Ismaels Geheimnis - Reichtum nach Art der Lasser
Eine Buchbesprechung von Markus Distelberger

Brauchen wir einen Talentekreis? Das habe ich vor einem Jahr noch nicht uneingeschränkt bejaht. Nun habe ich die Obmannschaft des Vereines übernommen. Einen wichtigen Impuls, mich der zinsenlosen Talentewirtschaft zu widmen, erhielt ich durch die Lektüre der beiden Bücher von Daniel Quinn "Ismael" und "Ismaels Geheimnis" (beide erschienen bei Goldmann TB Nr. 42376 und 44202).
Hauptfigur beider Bücher ist der Gorilla Ismael, der zuerst einen 40-jährigen Alt-68er und dann ein 16- jähriges Mädchen darin unterrichtet, wie man die Welt retten kann. Ein großes Unternehmen! Daniel Quinn durchleuchtet in seinen Romanen die Urmythen unserer Kultur. Sie entstanden vor ca. 5000 Jahren, als sich im vorderen Orient ein Teil der Völker von einer stammesmäßigen Lebensweise verabschiedeten. Sie wurden sesshaft, besetzten Land, unterwarfen andere Völker, und versuchten sich von der natürlichen Begrenzung von Nahrung und anderer Ressourcen unabhängig zu machen. Da sie durch den Ackerbau mehr Nahrung zur Verfügung hatten, konnten sie sich unkontrollierter vermehren, ihre Bedürfnisse steigern und diese auch durch Kriege mit anderen Völkern und Beherrschung der Natur auf einem höheren Niveau befriedigen. Diesen Zustand haben wir bis heute. Quinn nennt diese unsere vor 5000 Jahren entstandene Kultur die "der Nehmer". Denen gegenüber stellte er die stammesmäßige Lebensweise der "Lasser", die heute nur mehr an den äußersten Rändern unserer Gesellschaft oder in abgelegensten Gebieten als Reste von Naturvölkern existieren.
Der Wohlstand, den die Naturvölker schaffen, fließt nicht in die Hände einiger Weniger. Nahrung wird nicht weggesperrt, nicht gehortet, sondern geteilt. Wer am meisten zum verschenken hat, hat das höchste soziale Ansehen. Stämme sichern ihr Überleben dadurch, dass sie um jeden Preis zusammenhalten. Ihr größter Reichtum besteht in der Sicherheit und Unterstützung, die jedes einzelne Stammesmitglied von der Wiege bis zum Grab genießt.

Wir hingegen aus der "Nehmer-Kultur" nehmen uns extern außerhalb unserer Kultur (von der Natur, von anderen Völkern, von weniger mächtigen Menschengruppen), oft ohne oder ohne gerecht zu bezahlen. Innerhalb unserer Gesellschaft schaffen wir jedoch Dienstleistungssysteme und Unternehmen, die wir alle teuer bezahlen müssen. Unser Wirtschaftssystem fördert die Anhäufung von materiellem Reichtum in den Händen Weniger und eine starke Belastung der Masse der Bevölkerung. Obwohl unsere Wirtschaft ungeheuer produktivi ist, leiden soviele Menschen Mangel.

Bei den "Lassern" besteht der größte Reichtum in der Verbindung mit anderen Menschen. Bei den "Nehmern" ermöglicht die Trennung und Spezialisierung höhere Produktivität, schafft aber gleichzeitig oft eine soziale Armut. Vielfach werden Sozialleistungen als zu teuer betrachtet bzw. werden erst dann zugestanden, wenn das Geld dazu vorhanden ist. Wir müssen also zuerst hart arbeiten, um dann sozial sein zu können. Das Konzept der " Lasser" ermöglicht, sofort sozial sein zu können, ohne Schilling oder Euro oder Dollar zu haben.
Für mich geht ein Talentetauschkreis genau in diese Richtung. Der Reichtum im Talentetauschkreis besteht nicht darin, dass hier ein bestimmtes Produkt kostengünstiger erworben werden kann, sondern der Reichtum besteht, wie bei einer stammesmäßigen Lebensweise der Naturvölker, in der Sicherheit, die jedes einzelne Mitglied durch ein dichtes Netz an Verbindungen zu anderen Menschen hat, auf die es sich verlassen kann.

Das ist meine Vision für die Tauschkreisbewegung: dass durch diese ein dichtes Geflecht an Beziehungen zwischen Menschen bestehen, auf die man sich wirklich verlassen kann, weil man weiß, dass der Andere nicht seinen maximalen Vorteil herausholen will, sondern am Wohl des Andern und der Gemeinschaft interessiert ist. In einem solchen Rahmen ist es auch leichter, Geschäfte auf der Basis von Vertrauen darauf, dass die Leistung und der Preis stimmt, abzuschließen, ohne dass man immens viel Energie für Kontrollmechanismen (diese Unzahl von Gesetzen!) aufwenden muss. Auch wenn wir heute in einem komplexen weltweiten Wirtschaftssystem verbunden sind, können wir dennoch parallel und teilweise die Weltwirtschaft ersetzend, lokale Wirtschaftssysteme entwickeln, die nach dem Konzept der "Lasser" funktionieren. Diese schaffen eine Lebensqualität , die zu erreichen wir mit unserer üblichen Art von Wirtschaft nicht imstande wären.