|
Zukunft von Macht und Menschlichkeit
- Einladungstext zum Symposium 2005 |
<<
zurück |
von Dr. Markus Distelberger
Das ist eine Einladung,
gemeinsam anzufangen, eine Sprache zu finden für das
Unbehagen, die Unsicherheit, manchmal vielleicht sogar das Erschrecken,
dass mit unserer Gesellschaft irgendetwas Grundlegendes nicht stimmt
und in Richtung eines weitgehenden Zusammenbruches läuft.
Je mehr wir (als Individuen und als Gesellschaft)
versuchen, Kontrolle, Macht und Überlegenheit über unser
Leben und das anderer Menschen zu gewinnen, umso mehr verlieren
wir unsere Menschlichkeit. In dieser Sucht nach immer mehr Macht
bauen wir eine Illusion von mehr Sicherheit auf, in Wirklichkeit
zerstören wir das Leben.
Vieles destruktive, das wir heute in Wirtschaft, Politik
und Gesellschaft (besonders deutlich in den sogenannten diversen
Krisengebieten wie Irak, Palästina/Israel, Tschetschenien etc.)
erleben und uns so unbegreiflich erscheint, wird begreiflicher,
wenn wir es als Ergebnis und Folge von Sucht verstehen. Als Suchtprozess
verstehe ich folgendes: Ein Mittel (eine Droge) in der Erwartung
einzusetzen, endgültige vollständige Erfüllung oder
Kontrolle des Lebens durch dieses Mittel zu erlangen. Dabei steigt
unser Verlangen nach diesem Mittel, da das Mittel selbst unmittelbar
ein unstillbares Verlangen erzeugt. Dadurch entsteht eine Spirale
von Konsum und Überwindung der Mangelgefühle durch neuen
verstärkten Konsum, die vielfach bis zum Tod führt. Sucht
reduziert und fixiert das Leben immer mehr auf die Droge und macht
Menschen so egozentrisch, daß sie die Lage anderer Menschen
verdrängen oder ausblenden. Unsere westlich-abendländische
Kultur ist besonders stark von Sucht durchdrungen wie zum Beispiel
Alkoholismus, Medikamentensucht, Nikotin, Marihuana- und andere
illegale Drogensucht und von Sucht nach komplexen endogenen (körpereigenen)
Drogen wie z.B. Adrenalin und Endorphine u.a. bei Eßsucht,
Arbeitssucht, Sexsucht, Spielsucht, Kaufsucht, zwanghaftem Schuldenmachen,
Romantiksucht, Herrschsucht, Eifersucht, Gefallsucht usw.
Ich möchte die gesellschaftliche Dynamik von
Sucht nach immer mehr Macht und die Kolonisierung aller Lebensbereiche
den Kult des Stärkeren nennen.
In der Natur von Sucht liegt es, daß Lösungen immer im
Außen gesucht werden. Daher ist logischerweise der Kult des
Stärkeren ein Produkt der Suchtgesellschaft und gleichzeitig
der wichtigste Erzeuger von Sucht.
Kapitalistisches Wirtschaften könnte als eine
Suchtkrankheit einer ganzen Gesellschaft oder Kultur betrachtet
werden, bei der das Verlangen nach Verfügung über mehr
Kapital ein Gefühl von ständigem Mangel an Kapital erzeugt
in einem sich ständig steigerndem Teufelskreis bis der Kollaps
in Form eines globalen Krieges oder eines sonstigen wirtschaftlichen
Zusammenbruches eintritt.
Kapitalistisches Wirtschaften macht Märkte zu
Kriegsschauplätzen. Da im Krieg alle Regeln und Grenzen außer
Kraft gesetzt werden, werden Regeln einer freien, sozialen, ökologischen
und fairen Marktwirtschaft auch im kriegerischen kapitalistischen
Wirtschaften nicht wirklich anerkannt.
Da im Krieg Information monopolisiert wird und Überlegenheit
angestrebt wird, wird einem freien Markt jede Basis entzogen, da
dieser freie und vollständige Information und möglichst
gleiches wechselseitiges Angewiesensein seiner Teilnehmer auf den
Markt braucht.
Vielleicht ist es an der Zeit, eine freie, soziale,
ökologische, friedliche und faire Marktwirtschaft frei von
kapitalistischem Wirtschaften mit Hilfe einer neuen Kultur von Gemeinschaft
und Kooperation aufzubauen.
eine Einladung, gemeinsam ein
Netzwerk aufzubauen,
in welchem wir uns gegenseitig verstehen, unterstützen und
miteinander lernen, das Wunder und die Einzigartigkeit unseres individuellen
Lebens zu erkennen und zu entfalten und zwar nicht nur als Individuen
sondern auch als Gruppen, Organsationen, Institutionen und Unternehmen.
Ich schlage vor, in diesem Netzwerk ein neues Verständnis
von Spiritualität aufzubauen: Als etwas ähnlich universales
und grundlegendes wie die Lunge und die Luft, die jeder Mensch zum
Atmen braucht, könnte sie die Verbundenheit aller Menschen
auf einer tiefen Ebene zum Ausdruck bringen. Spiritualität,
von der wir hier sprechen, beginnt mit neuer Freiheit und neuer
Kraft durch Akzeptanz von Machtlosigkeit (im Sinne eines Loslassens
oder Aufhören mit sinnlosem Kämpfen nicht aber im Sinne
einer Passivität oder einer sozialen Anorexie), stoppt jede
Sucht und bringt die in jedem Menschen ursprünglich vorhandene
liebende Haltung zum Vorschein, heißt Bestärkung, Befreiung
und den Sinn seines Lebens kennen und sein Leben lieben, heißt
wirkliche Verbindung mit anderen Menschen, mit Gott, wie ihn oder
sie jeder versteht und mit der Welt, heißt Streben nach Herr-schaft
und Kontrolle aufgeben, anderen Menschen nichts vorschreiben, sich
auf seine eigene Entfaltung und die Wahrung der eigenen Grenzen
konzentrieren, Angst, Neid, Hass, Arroganz etc. abbauen, Fehler
zugeben, in Würde Wiedergutmachung leisten. Solcher Art spirituelle
Menschen sind erkennbar durch ihre Kraft, ihre Anteilnahme und Klarheit
ihres Erkennens und Handelns und daß sie sich gegen alle Abspaltungen
in "Gute und Böse" und gegen geschlossene ideologische
Systeme und Dogmen verwahren.
Mit einem solchem grundlegendem Verständnis von
Spiritualität ergeben sich auch klare Orientierungspunkte im
Umgang mit allen Systemen menschlicher Metaphysik, wie z.B. Religionsgemeinschaften,
Esoterischen Bewegungen, Sekten, Magie, Ideologischen Systemen etc.
, die wie die ganze Gesellschaft von zahlreichen Formen von Süchten
und vom Kult des Stärkeren durchdrungen sind, wie die in letzter
Zeit immer häufiger öffentlich gemachten Fälle von
Mißbrauch aufzeigen. Oft von autoritärer sozialer Gestalt,
finden sich auch dort viele Tendenzen, die Menschen mit rigiden,
totalitären Systemen zu beherrschen, z. B. auf dem Gebiet der
Gestaltung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern und den Generationen.
In vielen Religionen und ihren Abspaltungen finden sich Regeln und
Systeme, die darauf abzielen, die Sexualität der Menschen durch
eine Hierarchie zu kontrollieren und Frauen von gleichen Rechten
auszuschließen. Gleichzeitig finden wir in Religionen viele
Zeugnisse von tiefer, gelebten Spiritualität des Vertrauens,
von einer Kultur von Schönheit und Kreativität und von
beeindruckendem Engagement für soziale Solidarität. In
vielen ideologischen sozialen Bewegungen kam kraftvolles Engagement
für Freiheit, menschliche Grundrechte und soziale Solidarität
zum Ausdruck. Esoterik hat das Bewußtsein für tiefere
und komplexere Ebenen von Wirklichkeit gegenüber rein rationaler
Wissenschaft erweitert. Spiritualität des Vertrauens wieder
zu entwickeln heißt auch die reiche spirituelle Erfahrung
von indigenen Völkern, die oft zigtausende Jahre, lange bevor
es Religionen gab, zurückreicht, zu rehabilitieren.
eine Einladung, eine neue Theorie und Praxis gesellschaftlicher
Veränderung zu entwickeln:
Diese Spiritualität stärkt Menschen, in
sozialen, politischen und wirtschaftlichen Prozessen und Systemen,
Suchtprozesse und Kult des Stärkeren wahrzunehmen, anzusprechen
und Entscheidungen zu treffen, die dem Leben, auch jenem zukünftiger
Generationen, dienen. Vor allem aber heißt es, Sucht nicht
bei den anderen Menschen, anderen Organisationen, Unternehmen etc.
zu bekämpfen sondern sich mit seinen eigenen Süchten,
Anorexien und Co-abhängigkeiten auseinanderzusetzen. Mit dem
Ausleben von Co-abhängigkeit aufzuhören, heißt vor
allem auch, eigene Angst abzubauen und destruktives Verhalten eines
süchtigen Partners nicht weiter zu tolerieren, die notwendigen
Grenzen zu setzen, um seine Werte und Lebensinteressen aufrechtzuerhalten,
sich bewußtzumachen, daß der andere aus seiner Suchtkrankheit
heraus handelt, und seinen Groll gegen ihn ebenfalls abzubauen.
Solches auf Politik und Wirtschaft umgelegt, ergibt neue Perspektiven
für die positive Veränderung unserer Gesellschaft.
Wenn wir Spiritualität aus dem Eck der Religionen,
Esoterik etc. herausholen und ihr einen selbstverständlichen
Platz in unseren Wissenschaften, in Wirtschaft und Politik einräumen,
befreit sie diese ebenfalls vom Kult des Stärkeren und vom
Mangeldenken und gibt uns die Gabe des Staunens und der Dankbarkeit
über die Wunder unseres Lebens in dieser Welt zurück.
Viele Energie, die in der Politik in Show und Fassade investiert
wird und ebensoviele Energie die aufgrund von nicht erkannter Co-abhängigkeit
in sinnlosen Kämpfen und Hass und Wut gegen diese Fassaden
und gegen "die da oben" oder "die anderen" verschleudert
wird oder in Ohnmacht und Zynismus verkommt, könnte wirksamer
dazu dienen, mehr Souveränität von unten nach oben aufzubauen
und die Gesellschaft durch reale erlebbare neue Systeme zu verändern.
Wenn Menschen diese Verbindung untereinander spüren, die Angst
loslassen, kann wie z.B. beim Fall des "eisernen Vorhangs"
oft sehr plötzlich eine gewaltige Kraft für soziale Veränderung
freiwerden. Eine solche "spirituelle" Gemeinschaftserfahrung
hilft, demokratisches, politisches Engagement lokal bis global neu
zu beleben und zu stärken, um ein gleiches, soziales und faires
Recht der globalen Wirtschaft für alle inklusive des Rechtes
auf Verschiedenheit, Abgrenzung und Autonomie zu schaffen. Formen
eines fairen, nicht kriegerischen, politischen Kampfes, in Form
z.B. von Boykott, ziviler Ungehorsam und Widerstand etc. entfalten
erst durch eine starke Gemeinschaft ihre Wirkung. Aus einem Bewußtsein
der eigenen Stärke und der Fähigkeit zu kämpfen heraus
können wir eine politische Kultur von Verhandlung und Mediation
als Alternative zu Zynismus und Resignation einerseits und destruktiver
Konkurrenz und Gewalt andererseits entwickeln.
und schließlich eine Einladung, definitiv
neue, konkrete Projekte und Systeme einer neuen Gemeinschaftskultur
frei von kapitalistischem Wirtschaften in Gesellschaft, Wirtschaft
und Politik aufzubauen, um lokal und global Fairness und
Chancengleichheit, Solidarität und ein gutes Leben für
alle zu verwirklichen:
Drei Projekte, vielleicht auch in Kombination, die
mich besonders interessieren:
·
Aufbau eines nach der Art eines Baumes wachsenden Lern- und Unterstützungsnetzwerkes
in Form von regelmäßigen Open Space - Symposien, wo Einzelne,
Gruppen, Organisationen, Institutionen und Unternehmen aus dem Geist
dieser neuen Gemeinschaftskultur sich gegenseitig unterstützen,
ihre "Aufgabe in der Welt" zu verwirklichen und ein gutes
Leben für sich und ihre Umgebung aufzubauen,
·
Aufbau von kapitalismusfreien Bank- und Immoblienprojekten, nämlich
zinsenfreie Spar- und Leihgemeinschaften wie die der JAK-Genossenschaft
in Schweden kombiniert mit einem zinsenfreien gemeinschaftlichen
Bau von Wohnungen und Betriebs- und Geschäftsräumlichkeiten
oder mit gemeinschaftlichem Landbesitz, der aus dem spekulativen
Immoblienmarkt freigekauft wird, und großer gemeinschaftlicher
Permakultur oder Subsistenzwirtschaften dient.
·
Aufbau von neuen, freien, ökologischen, sozialen, friedlichen
und fairen Märkten durch Entfaltung der Tauschkreise und der
Regionalgeldinitiativen zu einer spürbaren, alternativen, kapitalismusfreien
Wirtschaftskultur in den Gemeinden und Regionen, die Arbeitslosigkeit
wirksam beseitigt.
Alle Teilnehmer des Forums und des Symposiums sind
herzlich eingeladen, ihre Visionen und Projekte vorzustellen und
mit Hilfe der Gemeinschaft dieses Forums und Symposiums weiterzuentwickeln.
|